
Die Schweizer Linke, allen voran jene, die sich Intellektuelle und Kuturschaffende nennen, tut sich seit jeher schwer mit der Vater- bzw. Mutterlandsliebe. Besonders in Zeiten, in denen die Rechte Abstimmungs- oder Wahlerfolge vorweisen oder erwarten kann, fällt es der Linken schwer, sich positiv über das eigene Land zu äussern. Sie jammern über die Schweiz und das System, das auch den Schweizern Mitspracherecht einräumt, die nicht gleicher Meinung sind. Sie nennen ihr Land „verknöchert“ oder „Zwergennation“. Und eigentlich am Schlimmsten: Sie überlassen die Definition der positiven Schweiz der Rechten, die das Bild der eigenen Heimat mit Kitsch und Klischees verfälscht und so die Emotionen der Schweizer erreicht, während die Linke abseits steht und lamentiert.
Vielleicht hat das seinen Ursprung in der „Internationalen“, die fest in den Ursprüngen linken Denkens verwurzelt ist, eine Utopie einer mitfühlenden und gerechten Weltgemeinschaft, in der wir auf immer glücklich sein werden. Das schien und scheint der Liebe zum eigenen Land zu widersprechen, die „Nation“ wär nach dieser Utopie das zu überwindende Hindernis auf dem Weg zur universellen Glückseligkeit. Das war natürlich, bevor wirtschaftliche Kräfte eine „Internationale“ Realität werden liessen, die sich jetzt „Globalisierung“ nennt und die uns klar die Grenzen der Utopien aufzeigt, die man mit der menschlichen Natur erreichen kann.
Europa und die EU machen vielen Linken inzwischen Angst. War es doch der erste Ansatz zur Überwindung der bösen nationalen Identität hin zu einer glücklichen gemeinsamen Zukunft. Inzwischen hat die EU – wie die USA und Russland – bewiesen, dass zentralistische Systeme der Demokratie abträglich sind und dezentrale, kleine Einheiten mit Milizpolitikern die funktionalere Art der gesellschaftlichen Organisation sind. Das führt dazu, dass viele Linke sich nicht mehr zu Europa äussern – genauso wie man eine Geliebte verschweigt, die inzwischen etwas heruntergekommen durch die Bars tingelt und mit jeder Grossmacht wirtschaftlich ins Bett steigt. Natürlich gibts dann noch die Retro-Nostalgiker, die in Europa noch immer eine hehre Idee sehen, ohne die Realitäten zu berücksichtigen. Die Vorteile, die das eidgenössische System gegenüber anderen Systemen hat, wird nur von den Rechtsnationalen betont.
Sicher ist das Minderwertigkeitsgefühl vieler Linker gegenüber anderen europäischen Nationen auch ein Faktor. Wir hatten nie Kolonien, wir waren nie eine Grossmacht, wir haben international nur marginal eine Rolle gespielt. Wir hatten nie eine Revolution. Wir waren eher so der Kiosk, bei dem selbst in finsterster europäischer Nacht alle, also Kriegstreiber, Dealer, Zuhälter und Anwohner, ihre Snacks holen und ihr Geld wechseln konnten. Das ist nichts, worauf man „stolz“ sein kann. Aber wir haben seither so viel verbessert, dass man daran die positive Entwicklung aufzeigen könnte. (Siehe Bankgeheimnis). Und natürlich hatten wir schon immer unsere humanitäre Tradition und unsere „Guten Dienste“.
Eines der Probleme der fehlenden Liebe zur Schweiz ist das Schuldgefühl der Idealisten. Wir leben in einem der reichsten Länder, profitieren von der ungleichen Verteilung der Güter auf der Welt. In einer idealistischen, schwarzweissen Weltsicht gehört die Schweiz zu den Tätern, zu den Profiteuren, von denen man sich distanzieren muss. Das funktioniert nicht. Wenn man etwas zum Guten verändern will, muss man nicht in erster Linie das Schlechte bekämpfen, sondern das Gute weiter stärken.
Der hohe Lebensstandard der Schweiz ist ein Hindernis für die klassische Linke: Gute Krankenversicherungen, gute Arbeitsgesetze, guter Sozialstaat machen es schwierig, einen Klassenkampf zu führen.
Die Linke hat das Problem, dass in der Schweiz schon so viel soziale Gerechtigkeit erreicht wurde, dass der heroische Kampf um Gerechtigkeit nur noch auf kleinen Schlachtfeldern stattfindet. Während die Rechte ein Bild der Schweiz heraufbeschwört, die es nie gegeben hat, verpasst es die Linke, die wirklich positiven Errungenschaften der letzten hundert Jahre in den Fokus zu rücken. Ein Paradoxon: Gibt man zu, wie gut es uns geht, wirkt ein Kampf für eine soziale Verbesserung der Situation nicht mehr so dringend. Das Dilemma der Linken in Regierungsverantwortung.
Nun, ich bin ein Linker und ich liebe die Schweiz. Ich liebe die Sicherheit, ich liebe das träge System und ich bin ein ausgesprochener Fan der direkten Demokratie und des Föderalismus. Aber vielleicht muss man dazu wirklich eine Weile im Ausland gelebt haben. Und das ausserhalb des oberen Mittelstandes Europas. Ich kenne kein Land, in dem ich lieber leben würde. Es gibt hier Idioten, es gibt hier Filz und unsere ganz eigene Form von Korruption, wir bieten Verbrechern, Rohstoff und Nahrungsmittelspekulanten Zuflucht. Jep, das ist Scheisse. Aber wir können das ändern. Weil wir in der Schweiz leben und wir selbst entscheiden, nicht irgendwelche Parteiinteressen. Natürlich gibts keine Revolution, wir verbessern unser Land in homöopathischen Dosen, aber wir bleiben dran.
Das Gute an den homöopathischen Dosen ist, dass sie antiradikal wirken. Man kann in der Schweiz nichts schnell zum Guten verändern. Aber auch nichts zum Schlechten. Das führt zur Stabilität und zur Möglichkeit einer nachhaltigen sozialen Entwicklung, wie wir sie in den letzten 100 Jahren erleben durften.
Wir haben eine breite Bevölkerungsschicht, die verängstigt in die Welt schaut und sich am verlogenen Bild der Nationalisten der Schweiz festhält. Diesen Leuten muss man unbedingt zeigen, in was für einem wunderbaren Land wir wirklich leben. Die echte Schweiz ist besser und schöner als die Fantasiegebilde der Rechten. Die Menschen hier sind besser als man denkt. Damit wir das aber vermitteln können, müssen wir erst einmal selbst zu unserem Land stehen.