«Qualitätsjournalismus» – eine Abrechnung

Früher waren alle Journalisten Woodwards und Bernsteins, ich schwör!
Früher waren alle Journalisten Woodwards und Bernsteins, ich schwör!

Alle Jahre wieder kommen die Gralshüter des Qualitätsjournalismus – früher Kurt Imhof, jetzt seine eifrigen Erben – mit dem Jahrbuch zur Medienqualität heraus. Und alle Jahre wieder bejammern sie den Untergang der Medienqualität.

Sie sind etwas verwirrt, denn auf der einen Seite behaupten sie, dass kein Schwein mehr Texte mit mehr als 15 Wörtern liest, auf der anderen Seite beklagen sie aber auch, dass die Medientitel gar keinen «Qualitätsjournalismus» mehr liefern. Also sowohl Anbieter wie auch Konsumenten sind schlecht und unqualifiziert für den Umgang mit oder die Erstellung von «gutem» Journalismus.

Unter «Qualitätsjournalismus» verstehen sie durchwegs Geschichten und Storytelling, wie man es bis in die späten 90er praktiziert hat. Der Begriff ist nichts anderes als ein Euphemismus für «früher war alles besser». Man wird das Gefühl nicht los, dass wir Journalisten bis zum Beginn des Web 2.0 alles kleine Woodwards und Bernsteins waren. Das waren wir nicht.

Viele meiner ehrenwerten Kollegen stimmen in diesen frustrierten Trauergesang ein. Natürlich ist es nicht förderlich, dass man heute nicht nur messen kann, wer eine Zeitung kauft, sondern bei jedem Artikel die genaue Leserzahl in Echtzeit bestimmen kann. Da fällt manch einer aus den Wolken.

Der Leser, der Vollidiot

Dabei ist es nicht so, dass es früher wirklich anders war. Auch früher wurden Softnews und Serviceinfos oft vorgezogen. Soweit ich mich erinnern kann, gabs früher schon eine breite Lesermasse, die beim Tages Anzeiger gerade mal die Front- und die Kehrseite (für Spätgeborene: das war das Print-Aquivalent zu Buzzfeed) lasen und die NZZ nur für die Börseninfos abonniert hatten. Nun kriegt man diese Infos gratis online.

Der Massstab in den Medien waren lange Zeit die Zitate in anderen Titeln. Eine absolut selbstreferentielle Qualitätskontrolle. Man schrieb für die Kollegen und mass den eigenen Wert an deren Schulterklopfen. Diese Zeit ist vorbei. Der Leser hat inzwischen eine eigene Stimme, zitiert Artikel per Social Media und er hat mit einem Mausklick weltweite Alternativen zu den drei grossen Schweizer Zeitungstiteln der 80er und 90er Jahre.

Nun ist es einfach, den Leser dafür zu beschimpfen, dass er die Geschichten, die man schreibt, nicht lesen will. Die Imhof-Jünger haben sogar ein Mittel gegen diese Infamität des Lesers: Sie nennen es «Medienkompetenz» und wollen den Kids beibringen, was «guter» Journalismus ist. Kurz: Sie wollen junge Menschen bereits in den Schulen dazu prägen, gefälligst das Produkt zu kaufen, das man für sie vorgesehen hat. Das ist paternalistisch und arrogant.

Was die Medienkompetenz angeht: Heute verarbeitet ein 20-Jähriger täglich bis zu 50 Mal soviel Information wie ein Gleichaltriger vor 30 Jahren. Für den Journalisten ist es die Herausforderung, innerhalb dieser Flut etwas anzubieten, das heraussticht.

Wenn die Leser meine Geschichten nicht mehr lesen wollen, hat das eventuell damit zu tun, dass ich die Geschichten nicht so erzähle, dass sie für das real existierende Publikum lesenswert sind. Also anstatt die Leser als inkompetente Idioten darzustellen und nach einer Gehirnwäsche zu schreien, die den Leser für mein Storytelling konditioniert, sollte ich vielleicht eine Form finden, meine Inhalte so zu erzählen, dass das Publikum sie lesen WILL. Das heisst, ich müsste mit meiner Sprache und meinem Storytelling 2015 ankommen. Das, meine lieben Kollegen und Medienkritiker, ist das HANDWERK eines Journalisten.

Krämerseele Verleger

In einem Punkt jedoch hat das Jahrbuch recht: Die meisten grossen Medientitel werden von Krämerseelen herausgegeben, denen die Dividende an die Aktionäre näher steht als das Redaktionsbudget. Wenn sich ihr Produkt nicht mehr so gut verkauft, kämen sie nicht auf die Idee, Geld ins Produkt zu investieren. Sie sparen das Geld ein, indem sie dem Produkt noch mehr Geld entziehen und wundern sich dann, dass das Produkt nicht markttauglich bleibt.

Die einzigen Investitionen, die zur Zeit getätigt werden, sind technologischer Art. Aber Software und Apps erzählen keine Geschichten. Menschen erzählen Geschichten. Und gute journalistische Geschichten entstehen nicht auf Kommando und am Fliessband. Der Gärungsprozess, der in einem Journalistenkopf eine gute Geschichte entstehen lässt, braucht etwas Raum und Zeit. Wenn immer weniger Journalisten auf die immer gleiche Art eine Zeitung füllen müssen, kann ich nicht erwarten, damit mehr Leser zu begeistern. Es bleibt kein Raum für eigene Geschichten. Man greift aus Zeit- und Ideenmangel automatisch auf Copy/Paste zurück und reichert den geklauten Inhalt mit ein oder zwei Sätzen der immergleichen Fachleute (Fachjargon: Medienschlampen) an.

Damit werden keine neuen Geschichten in spannenden Formen möglich. Journalisten brauchen Zeit, Ressourcen und die Möglichkeit, ihren Arsch mal vom Bildschirm weg in die reale Welt zu bewegen.

Da draussen finden nämlich die Geschichten statt.