Polemik – die verachtete Streitkunst

Zack!
Zack!

„Das ist reine Polemik!“ höre ich oft als Reaktion auf meine Essays, Blogbeiträge und Social-Media-Äusserungen. Und das ist nicht als Kompliment gemeint. Ich solle weniger den Zweihänder und mehr die feine Klinge benutzen. Gerade Kollegen aus der schreibenden Zunft fühlen sich von Wortwahl und Brutalität meiner Argrumentationsketten oft regelrecht abgestossen. Polemik ist in der Schweiz „Pfui bäh!“.

Man äussert sich ind er Schweizer Medienwelt und Politik wohltemperiert und gediegen, Angriffe finden mittels geworfener Wattebällchen statt. Polemik ist das unsaubere Mittel des politischen Gegners. Schliesslich versteht man sich selbst ja als kultiviert und – vor allem – überlegen.

So edel sich das anhört, so schwachsinnig (hier ist Polemik zu spüren) ist dieser Dünkel gegenüber klaren, angriffigen und manchmal verletzenden Worten. Um beim Sprachbild der Klingen zu bleiben: Natürlich benutze ich gegen gewisse Gegner „die feine Klinge“. Ist mein Gegner jedoch ein gepanzerter, mit Streitkolben gewappneter Goliath, stecke ich den Degen weg und greife zur Streitaxt. Wenn ich mich politisch äussere, will ich den Gegner nicht kitzeln, ich will ihn verbal niederringen. Dazu bewege ich mich auch mal ausserhalb dessen, was man hierzulande als „anständig“ bezeichnet. Und es wirkt, wie man zum Beispiel an Jan Böhmermanns Erdogan-Gedicht sehen kann.

Leider gibt es wenige grosse Medien, die sich harte Polemiken leisten, meist aus Angst vor Klage, oder weil sie ihren Leser das Verständnis und die Toleranz für Streitschriften absprechen.

Polemik ist Pfui

In der Schweiz gibt’s gerade mal drei Polemiker mit grösserer Reichweite, die regelmässig den politischen Gegner herausfordern: Roger Köppel in seinem Editorial, Roger Schawinski und Frank A. Meyer. Aber während Köppel Polemik gezielt einsetzt, um politische Themen zu setzen – oft leider nicht faktenbasiert – reagieren die beiden eher linken Polemiker Schawinski und Meyer oft nur auf bereits bestehende Situationen. Und ich bin mir sicher, das alle drei die Bezeichnung „Polemiker“ weit von sich weisen würden. Auch sie nehmen für sich in Anspruch, „objektiv“ zu sein, was natürlich bei einer offensichtlichen politischen Ausrichtung nicht stimmt.

Selbst unsere Schweizer Satiriker zeichnen sich im Vergleich zum englischen Sprachraum – oder nur schon zu den deutschen Kollegen – durch eine immanente Beisshemmung aus. Kaum einer greift an. Der Unterhaltungswert ist wichtiger als die Botschaft. Man ist Comedian und nicht Kabarettist. Andreas Thiel, der einzige bissige Exponent dieser Szene benutzte Polemik hingegen als Marketinginstrument mit reinem Selbstzweck. Wie das ausging, wissen wir ja.

Also auch hier: Polemik ist Pfui. Dabei nutzten Denker, Philosophen, Wissenschaftler und eben auch politische Autoren von den alten Griechen über Gotthold Ephraim Lessing, Arthur Schopenhauer, Heinrich Heine, Karl Marx bis Kurt Tucholsky auf der Bühne, auf Papier und jetzt eben auch online die altehrwürdige Streitkunst der Polemik. Und diese Typen waren nicht nett zu ihren Gegnern – wirklich nicht – obwohl sie heute als Klassiker gelten. Selbst Max Frisch war sich nicht zu schade, auch mal polemisch zu argumentieren.

Objektivität als Fetisch

Polemik bedeutet, dass man klar Stellung bezieht, dass man in einem Streit als Person Partei ergreift. Doch kaum einer getraut sich: „Objektivität“ ist in der Schweizer Politik und Medienlandschaft (abgesehen von der Weltwoche und der Wochenzeitung) eine Art Fetisch geworden. Man will nicht klar für Werte einstehen, weil man damit vielleicht einen Teil der Leser oder einen Teil der Wähler verlieren könnte. Also meidet man Polemik, formuliert so vorsichtig, dass man beliebig wird. Deutschland ist diesen Weg politisch bereits gegangen, was dazu führte, dass man die SPD und die CDU/CSU lange Zeit inhaltlich kaum mehr unterscheiden konnte und dafür Parteien wie die AfD ein scharfes Profil bekamen. Nur so ist es zu verstehen, dass ein Martin Schulz ohne politisches Programm aber mit klaren Werten und Worten die Kanzlerin herausfordern kann. In der Schweiz sind es Exponenten der SVP, die ihr Profil mit Polemik schärfen und so die anderen Parteien hilflos und schwach aussehen lassen.

Lustigerweise benutzen in der Schweiz viele Politiker und Autoren den Begriff „Polemik“ polemisch: Es ist immer der Gegner, der polemisch ist. Ehrewort! Immer, wenn es gilt eine Argumentation zu diskreditieren, wird dem Gegner Polemik vorgeworfen. Zum einen, um den eigenen Standpunkt als hehr und lauter darzustellen und den Gegner als pöbelnden Schreihals zu brandmarken, zum anderen, um sich selbst als „objektiv“ zu positionieren. Damit lässt sich vortrefflich Kritiken abschmettern und Fragen ausweichen. Ich horche jedes Mal auf, wenn jemand der Polemik beschuldigt wird. Meist kann ich da dann ein schmerzhaftes Argument oder ungeliebte Fakten finden, die der Angegriffene lieber nicht diskutieren will.

Natürlich ist es einfach, jedem faktischen, hart formulierten Angriff mit dem Vorwurf der Polemik zu begegnen. Insofern ist „Polemik“ die Nazi-Keule derjenigen, die sich nicht auf einen schmerzhaften Diskurs einlassen wollen, entweder weil sie lieber mit Wattebällchen werfen, oder weil sie wissen, dass sie den Angriff anders nicht abwehren können.

Die dringende Notwendigkeit der harten Worte

Dabei war der Bedarf an klaren, harten Worten seit dem zweiten Weltkrieg nie mehr so eindeutig. Zur Zeit sehen wir in Europa und auf der ganzen Welt eine Welle des politischen Populismus. Faktenfreie Angriffe auf den humanistischen Konsens der Demokratien fordern aufgeklärte und liberale Denker und Politiker heraus, die leider nur mit feingeistigen Erklärungen und wissenschaftlichen Erklärungen reagieren, die kein Schwein ausserhalb einer kleinen, bereits engagierten Gruppe liest.

Aber Populismus funktioniert nicht rational, sondern charismatisch. Sowohl die Exponenten wie auch die Botschaften arbeiten über eine emotionale Anziehungskraft. Und weil Populisten das Instrument der Polemik benutzen, gilt es auf der Seite der Gegner als verpönt. Inhalt wird mit Form verwechselt. Das können wir uns nicht leisten. Um die Kraft der Populisten zu brechen, muss man sie demaskieren, man muss sie verbal und inhaltlichen demütigen. Das klingt hart, aber es ist der einzige funktionierende Weg. Menschen, die sich von Populisten angezogen fühlen, folgen dem starken Leitwolf, dem am härtesten vorgebrachten Argument. Lässt man beides schwach oder gar lächerlich aussehen, wenden sich viele Mitläufer ab. Mit freundlichen Worten und Wattebällchen hat in der ganzen Menschheitsgeschichte noch niemand Populisten oder Extremisten aufgehalten.

Der Klügere gibt nicht nach.

Ich schreibe eine Polemik nicht, um den Gegner von meinen Argumenten zu überzeugen. Ich schreibe eine Polemik, um dem Leser, dem Publikum, aufzuzeigen, wo die Schwächen, die Denkfehler und das ethische Versagen des Gegners liegt.

Das ist in der Schweiz ein ungeliebtes Konzept, da man lieber im Konsens badet. Aber es ist genau dann notwendig, wenn sich kein vernünftiger Konsens abzeichnet, wenn die Mitte in Gefahr ist. Wenn der Klügere immer nachgibt, steht er irgendwann am Abgrund oder mit dem Rücken zur Wand. Man benutzt Polemik, um klarzustellen, in welchem Rahmen überhaupt eine Einigung möglich ist, wo die Grenzen des Verhandelbaren liegen. Man grenzt ab, ein, aus.

Eine feine, vernünftige Zurechtweisung reicht da nicht. Manchmal muss man hinstehen und sagen was Sache ist: „Bis hierhin und nicht weiter.“ Wenn man zu oft den Konsens mit den Extremen sucht, findet man sich selbst sehr schnell ausser Balance. Mit jeder Einigung mit den Rändern der politischen Landschaft verschiebt die eigene Mitte in deren Richtung.

Auf den Mann spielen

In der Schweiz zielt man nicht gerne auf die Person. Aber gerade heute ist es wichtig, aufzuzeigen, woher und von wem die jeweiligen Botschaften kommen. Man kann eine Information nicht unabhängig von ihrem Absender einordnen. Dazu ist es notwendig, jemanden nicht nur der Lüge oder der Hetze zu überführen, sondern ihn auch „Lügner“ oder „Hetzer“ zu nennen. Ich persönlich benutze in meinen Texten oft viel härtere Ausdrücke, um den emotionalen Druck, die Wut, die Kraft und den Widerstand in spürbare Worte zu fassen.

Natürlich gibt es auch bei Streitschriften Abstufungen: Manchmal reicht feine Ironie und ein Seitenhieb, manchmal braucht es geradewegs eins in die Fresse. Das ist aber nicht vom Autor abhängig, sondern vom Ziel, das er treffen will. Und dann muss man sich über die innere, zivilisierte Beisshemmung hinwegsetzen.

Fakten sind die Munition, Polemik ist die Waffe

Es gibt Grundregeln für eine gute Polemik: Sie muss faktentreu sein. Nur eine belegbare, empirische Demaskierung entwickelt Kraft. Man benutzt die Fakten wie Wurfgeschosse während die polemische Form als starkes Katapult wirkt, mit dem man sicher sstellt, dass man den Gegner auch trifft. Wütende Angriffe ohne empirische Grundlage ohne Fakten ist nur hilfloses Wüten. Sie muss eine klare Position beziehen, und sie darf nicht gegen Ende in eine typisch Schweizerische Apologie ausfransen.

Um eine treffende, funktionierende Polemik zu schreiben, muss man in Sache und Hintergrund sattelfest sein. Man muss die Argumentation des Gegners voraussehen und bereits im Ansatz demontieren. Man muss seine Argumente, seine Aussagen und seine Handlungen in einen ethischen Bezugsrahmen stellen und die Definition des Framings selbst bestimmen.

Der Leser, das Publikum muss am Ende klar in für und wider geteilt sein. Nun muss man aber die gegnerische Position so herausarbeiten, dass da nur noch die überzeugtesten Anhänger stehen wollen. Die kann man mit einer Polemik sowieso nicht überzeugen. Aber die Unentschlossenen, die Mitläufer, die Mitleser, die müssen sich vom Gegner abwenden.

Eine Polemik Während Kurt Tucholsky seine Polemiken satirisch und bitterböse umsetzte, waren zum Beispiel Schopenhauers Denkmuster eher moralisch.

Die Verantwortung

Natürlich kann man sich als eloquenter Schöngeist angewidert abwenden und sich Populisten und Hetzer wegwünschen. Man hält sich Ohren und Augen zu, meidet Kommentarspalten und Medienprodukte, in denen sich die populistische Pest ausbreitet, und rezitiert laut freundliche Gedichte.

Oder aber man steigt in die Niederungen der direkten Kommunikation und macht sich selbst im öffentlichen Streit die Hände schmutzig. Man steht hin für seine Position, wird laut, wahrnehmbar. Man ist bereit, für seine Werte auch mal Schläge einzustecken und seine Texte nicht aus dem Elfenbeinturm der Höflichkeit als Papierflieger auf die Leser herunterregnen zu lassen.

Polemiken zu verfassen und unter dem eigenen Namen zu veröffentlichen ist kein Zuckerschlecken. So viel Spass es machen kann, sich in die verbale Schlacht zu stürzen, so angreifbar wird man als Person dabei. Um eine polimische Position einzunehmen, hilft etwas reflektierter Narzissmus. Aber man muss es auch aushalten können, wenn man gehasst wird und polemische Antworten kriegt.

Wenn wir uns schon Autoren, Politiker, Denker, Künstler und was weiss ich nennen, beinhaltet dieses Selbstbild auch eine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber. Wenn wir aus Sorge um unser Image nicht bereit sind, auch etwas zu riskieren, haben wir diese Auszeichnungen auch nicht verdient.