
Kokain-Abgabe an Süchtige wie beim Heroin? Das ist eine wiederkehrende Idee, für die sich diese Woche die Zürcher Stadträtin Claudia Nielsen ausgesprochen hat.
Wieso eigentlich nicht? Bei Heroin scheint es ja zu funktionieren und verringert den Leidensdruck wie auch den Schwarzmarktumsatz. Und es sind ja beides harte Drogen, da könnte man doch mit dem gleichen Konzept ansetzen.
Nun, wer selbst schon Kokain in exzessiver Weise konsumiert hat, wie ich süchtig war, kann einfach erklären, warum das nicht funktioniert. Bei Heroin wirkt die Abgabe so, als würde man einem Auto Benzin zuführen. Es fährt damit eine Weile und muss irgendwann nachtanken. Bei Kokain ist es aber so, als würde man einem Waldbrand Benzin zuführen. Es brennt heisser und der Hunger nach mehr Brennstoff wird angefacht.
Das hat mit der unterschiedlichen Suchtdynamik der beiden Drogen zu tun. Heroin baut einen Spiegel auf, Kokain tut das nicht. Heroin hat eine Halbwertszeit von ca sechs Stunden. Also nach ungefähr sechs Stunden fällt die Sättigung so weit, dass der Konsument das starke Bedürfnis nach einer neuen Dosis spürt. Bei Substituten wie Methadon, die einen Langzeitspiegel aufbauen, kann die Halbwertszeit zwischen 24 und 36 Stunden betragen. Die Gier nach dem nächsten Schuss kann zwar psychologisch schon früher einsetzen, aber der übermässige Opiatkonsum führt schnell zur Bewusstlosigkeit – oder zum Tod.
Die Halbwertszeit bei Kokain – bei starkem Konsum – beträgt rund 20 Minuten bis eine Stunde. Sofern der Süchtige schnupft. Konsumiert er intravenös oder raucht Freebase, hält die Suchtbefriedigung gerade mal ein paar Minuten an, bevor der Drang nach der nächsten Dosis einrollt. Das ist einer der Gründe, warum Kokainsüchtige ihren Konsum mit Heroin oder Benzodiazepinen kombinieren – um den Crash nach dem Flash abzufedern.
Gibt man nun Kokain an Süchtige ab, hält man den Kreislauf in Bewegung. Man giesst Benzin ins Feuer. Nach jedem Konsum wird der Flash, das kurze High, kürzer und weniger intensiv, was bei der nächsten Linie, beim nächsten Knall, eine höhere Dosis einfordert. Die Versuche mit Kokainabgabe in den 90ern in Zürich haben gezeigt, dass die Konsumenten durch die Abgabe nicht weniger «illegales» Kokain konsumierten, sondern mehr. Zusätzlich zu dem abgegebenen Stoff. Dazu:
«1994 brach man einen Versuch mit ärztlich kontrollierte Kokainabgabe in Zürich vorzeitig ab», erinnert sich die GLP-Grossrätin und Betriebsleiterin der Kontrollierten Drogenabgabestelle, Barbara Mühlheim: Die Abgabe habe nicht zu einer reduzierten Einnahme von Gassen-Kokain geführt, im Gegenteil: «Der Versuch führte sogar zu einem höheren täglichen Konsum bei den Probanden», so Mühlheim.
Man kann also nicht «genug» Kokain abgeben. Niemals. Weil jede Dosis die Gier nach mehr anfacht.
Dann bliebe noch die Substitution durch Amphetaminderivate wie Ritalin. Das könnte in einzelnen Fällen helfen, da Amphetamin eine längere Halbwertszeit hat und die Gier nicht in gleicher Art ansteigt. Nur bleibt eben das gerade bei Schwerstsüchtigen gesuchte Flash, das kurze, harte Reinknallen der Droge, aus. Was dann wieder zu Beikonsum führen würde. Womit wir wieder in der Schleife wären.
Ein weiteres Problem bei Kokainsucht ist, dass sie nicht stetig ist. Bei Opiaten ist durch die körperliche Abhängigkeit eine gewisse Gleichmässigkeit gegeben. Man ist süchtig und bleibt mehr oder weniger bis zum Entzug in diesem Zustand.
Bei Kokainsüchtigen sieht das etwas anders aus. Auf drei Wochen harten Konsum können durchaus zwei Wochen Abstinenz folgen, oder drei Tage. Dann greift die Sucht wieder und der Süchtige knallt sich voll. Das macht eine gleichmässige Abgabe eher kontraproduktiv, da diese Phasen der Abstinenz die Chance zum Ausstieg bergen.
Nationalrätin Min Li Marti meinte, ich solle ruhig zu diesem Thema schreiben, aber doch auch einen Lösungsansatz bringen. Nun, hätte ich eine Lösung, würde ich durch die Welt tingeln und diese an Gesundheitspolitiker verkaufen. Ich wär reich.
Es gibt gesellschaftliche Probleme, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Oder wenigstens keine billigen. Bei Heroin hat man mit Abgabe und Substitution das Problem nicht gelöst, sondern nur die Symptome gemildert und versteckt. Während Lettenzeiten gabs schweizweit rund 35 000 Opiatabhängige, offene Drogenszenen, Gesundheitsrisiken und Kriminalität. Heute gibts noch immer rund 25 000 Opiatsüchtige, nur eben kaum sichtbar. Sie hängen in den meisten Fällen in Sozialwohnungen, leben von Sozialhilfe und geben ihr Geld für Beikonsum aus. Sie gehören übrigens meist zu den Hardcore-Kokainsüchtigen. Aber Substitution ist eben billig.
Versteht mich nicht falsch, ich bin nicht gegen Substitution und Abgabe. Für einzelne Fälle kann die Abgabe von Ritalin ein Lösungsansatz sein. Und ich bin klarer Verfechter der Entkriminalisierung. Konsum und Besitz sollten straffrei sein, da Süchtige nun wirklich schon genug Probleme haben und eine Busse oder eine Haft das Problem nicht mal ankratzen.
Aber die Abgabe von Kokain an Süchtige bewirkt absolut nichts. Sie macht das Problem noch schlimmer.
Um einen gesellschaftlichen Umgang mit Sucht (nicht mit den sichtbaren gesellschaftlichen Symptomen) zu finden, braucht es eine breite Palette von Behandlungsansätzen. Und jeder davon ist teuer. Langzeittherapien werden kaum mehr bezahlt, sind jedoch unerlässlich, um die psychische Prägung, die eine Sucht einem Menschen aufdrückt, wieder aufzulösen. Dazu kommt, dass solche Therapien oft nicht beim ersten Mal anschlagen.
Die Frage ist, will man was für die öffentliche Wahrnehmung tun, oder will man wirklich Süchtigen helfen, aus ihrem Leid auszusteigen.