Die hetzerischen Äusserungen des Boswiler Gemeindeschreibers sind widerlich. Soll er deshalb vor Gericht?
Um es vorwegzunehmen: Ich bin ein Verfechter der totalen Meinungsfreiheit, wie sie eher in den USA herrscht. Jeder soll alles sagen dürfen, ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen.
Das heisst nicht, dass jeder folgenlos jeden Kackscheiss verbreiten kann. Ich vertraue aber mehr in soziale Konsequenzen als in rechtliche Schritte. Wenn jemand sich so äussert wie dieser erbärmliche Gemeindeschreiber, soll er die sozialen Folgen in einer geistig stabilen Gemeinschaft durchaus spüren und seinen Job verlieren und andere soziale Ächtung erfahren. Dazu gehört auch die mediale Aufarbeitung.
Wenn jemand seine Meinung öffentlich äussert, soll er dafür auch hinstehen müssen. Meinung ohne Konsequenzen ist was für Feiglinge.
Wenn wir aber jede widerliche Äusserung rechtlich sanktionieren, drücken wir die hetzerischen Arschlöcher in den Untergrund.
In Deutschland hat das bereits die Kultur des «Dogwhistle» gefördert. «Dogwhistle» bedeutet, dass jemand Codes, Sprachfiguren und Symbole benutzt, die nur einer bestimmten Gruppe (für andere unhörbar) eine Botschaft vermitteln. Zum Beispiel tragen viele Nazis inzwischen einen Anhänger mit Thors Hammer anstelle des verbotenen Hakenkreuzes. AfD-Frontheini Gauland bringt adaptierte, leicht entschärfte Reden Hitlers, um seine völkische Meinung zu verbreiten.
Mir ist lieber, ich kenn meine hassverbreitenden Pappenheimer, mir ist lieber, sie sind weithin sichtbar, als wenn sie sich dann aus der Anonymität weiter betätigen. Ausserdem macht jedes Gerichtsurteil aus einem Arschloch einen Märtyrer. Verbote verhindern die Hassbotschaften nicht, sie machen es nur schwerer, die antidemokratischen, hassenden Idioten zu identifizieren.
Das Beizenverbot
Ein anderer Fall spielte sich in Deutschland ab, wo ein Beizer keine AfD-Politiker in seinem Lokal wollte. Die AfD-Wähler und unser Weltwoche-Journi Alex Baur sahen darin Parallelen zu den Judenverfolgungen im 3. Reich.
Also erstens ist das eine der widerlichsten Verdrehungen der Shoa, die mir in den letzten Jahren untergekommen ist – wenn man dabei berücksichtigt, dass gerade AfDler den Holocaust öffentlich einen Mückenschiss der Geschichte nannten. Und zweitens ist es einfach faktisch falsch.
Es macht einen Unterschied, ob jemand für Attribute diskriminiert wird, die man sich nicht wählen kann – Herkunft, Rasse, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Identität etc. – oder ob jemand die Konsequenzen für seine frei wählbaren Handlungen – wie politische Meinung, Hassbotschaften oder das verbale Treten der Schwächsten – trägt.
Ich erklärs mal an einem Beispiel: Wenn ich in einer Beiz jedesmal einen Teil der Gäste beleidige oder auf den Tisch kotze, kann ich davon ausgehen, dass irgendwann niemand mehr mit mir an den Tisch sitzt. Mache ich weiter, kriege ich ein Beizenverbot.
Das ist nicht ganz das Gleiche, wie wenn ich ein Beizenverbot bekomme, weil ich schwarz oder schwul bin oder einen arabischen Namen trage. Get it?
In diesem Falle ist die Empörung der Rechten – inkl Axel Bauer – auch ungeheuer heuchlerisch. Wo sie sonst immer auf die Freiheit der Wirtschaft pochen, heulen sie plötzlich, wenn jemand seine Kundschaft selbst bestimmt. Dass sich Hasstäter selbst als Opfer inszenieren ist übrigens so alt wie die Geschichte.
Fazit: Meinungsäusserung soll immer frei sein – aber nicht ohne Konsequenzen.