Kirche & Politik: Wem gehört Jesus?

Als Atheist bin ich ein klarer Verfechter der Trennung von Kirche und Staat. Trotzdem leugne ich nicht den sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Impact, den die Kirchen und ihre besten Vertreter in unserem Lande hatten und haben.

Gerade in den letzten Jahren haben sich PfarrerInnen aus beiden grossen Landeskirchen mit grossartiger Arbeit im Bereich Soziales hervorgetan. Viele von ihnen äussern sich auch klar und dezidiert zu politischen Themen. Das passt nicht allen.

Ein neuer reaktionärer Think Tank namens Kirche/Politik soll nun der Meinungsfreiheit der PfarrerInnen einen Riegel schieben, indem seine Mitglieder die Deutungshoheit christlicher Werte in der Schweizer Politik für sich beanspruchen.

Allen voran jammert CVP-Präsident Gerhard Pfister über die vorlauten, klaren und unkontrollierten Stimmen, die sich von den Kanzeln im Land hören lassen. Vielleicht liegts an seinem katholischen Hintergrund, dass er es nicht ausstehen kann, wenn in der Auslegung von Jesus Wort die Hierarchie nicht eingehalten wird.

Die treibende Motivation hinter dem Thinktank ist natürlich nicht, Jesus Werte in die Politik einfliessen zu lassen, sondern einen dezidiert rechten Kurs zu bestimmen und die Themenhoheit Religion/Politik zu übernehmen. Wie gesagt, bei Katholiken macht das aus ihrer Geschichte her Sinn. Da gabs schon immer einen obersten Chef.

Bei den reformierten Kirchen, die einmal dafür standen, dass jeder einzelne Mensch seinen direkten Draht zu Gott haben kann, und PfarrerInnen als Seelsorger und Begleiter auf diesem Weg dienen sollen, ist es lächerlich.

Was mich vor allem beunruhigt, ist der Ton, den Pfister und seine Polit-Kardinäle gegenüber den PfarrerInnen anschlagen, die es wagen, Nächstenliebe in die Politik einzubringen, ohne Ansicht der Rasse, der Herkunft, des Geschlechts, des Familiendogmas, der sexuellen Orientierung oder der sexuellen Identität.

Wer Menschen einfach als Menschen annimmt, Jesus folgt, steht oft im klaren Widerspruch zu gewissen Ansichten, die eher den verknöcherten Kirchen, als dem neuen Testament geschuldet sind. Wie gesagt, ich bin Atheist. Aber die Werte, die man Jesus zuschreibt, decken sich zu 100 Prozent mit meinen humanistischen Ansichten.

Und, lieber Gerhard, auch PfarrerInnen haben in einer freien Demokratie das Recht auf freie Meinungsäusserung. Wir leben nicht in einer kommunistischen Diktatur.

Und wie gesagt, dem neuen Thinktank gehts nicht darum, Gutes zu schaffen, sondern reaktionäre Werte – Schwulenfeindlichkeit, Familiendogma, Ausgrenzung anderer Religionen, kurz, die Weltsicht einer Kirche der 50er Jahre – wieder als Haupttenor der Religion in die Politik zu bringen.

Aber hey, sollen sie es versuchen. Ich wette mein Geld auf die PfarrerInnen, die mit Herz und Glaube ihre Werte an die Menschen bringen, ohne politisches Kalkül, ohne Parteiinteressen oder Machtstreben.