Endlich Freiheit von der Männlichkeit

«Yeah! Endlich kann ich rosa Socken stricken und mit Puppen spielen!» «Yeah! Endlich frei! Endlich kann ich rosa Socken stricken und mit Puppen spielen!»

Das Beweinen des Untergangs des echten Mannes erschien mir schon immer als das gesellschaftspolitische Äquivalent zur Männergrippe. Die Gesellschaft ändert sich nach Tausenden Jahren Richtung Gleichwertigkeit, und wir müssen als erstes die Tränen desjenigen Kindes trocknen, das den Spielplatz die ganze Zeit für sich alleine hatte. WTF? Aber wir richten jetzt den Blick weg von der Gesellschaft hin zum Individuum.

Männlichkeit in der Krise – oft gehört, nie wirklich verstanden. Zuerst einmal: Welche Männlichkeit? Die eines Sean Connery? Die eines Klaus Kinski? Oder die von Charles Bronson, David Bowie, Freddie Mercury oder Bud Spencer? Oder die von Tilda Swinton?

Männliche Rollenvorbilder waren schon immer divers, wenn man die Augen öffnete. Und sie waren auch immer künstlich und unerreichbar, ein Klischee. Natürlich gibts Eigenschaften und Stereotype, die weitherum das Attribut «männlich» tragen. Sie werden zusammengeworfen, zu Kunstfiguren geformt, angestrebt, verehrt, gefürchtet und idealisiert, aber sie reichen niemals zur Formung einer Identität.

Ich definiere mich und meine Identität nach Prinzipien, nicht nach Rollenvorbildern. Einige dieser Prinzipien wurden mir von  Männern vorgelebt, einige von Frauen. Vielleicht fällt mir das leichter, da ich ohne Vater und mit zwei starken Frauen aufgewachsen bin, und nie gross der Erwartung von «Männerverhalten» ausgesetzt war. Kein Fussball, kein Weitseichen, kein «Indianer kennen keinen Schmerz». Vielleicht liegts aber auch an meiner narzisstischen Veranlagung, durch die ich bereits als 7-Jähriger allen gesellschaftlichen Erwartungen den Mittelfinger und ein beherztes «Fuck off» gegeben hab.

Insofern empfinde ich das Erodieren der Männerstereotypen nicht als persönlichen Verlust. Aber eigentlich sollten ALLE Männer aufatmen, dass diese engen Korsetts endlich fallen.

Wer immer versucht, sich seine Identität nach einem Rollenvorbild zu formen, hat ein Leben voller Schmerzen und Frustration vor sich, egal ob Mann oder Frau. Die Auflösung solcher Rollenvorbilder führen aber im schlimmsten Fall  zu Phantomschmerzen, da es diese Stereotype ausser im Kino sowieso nie wirklich gab.

Sowenig es die «echte Männlichkeit» in der Realität gab, so stark wurde sie von beiden Geschlechtern hergesehnt, stilisiert, und in vielen Formen angestrebt. Eine Art kollektive Psychose der aufgegebenen Autonomie. Und diese Psychose wurde gleich stark von den Idealen der Männer wie von den Sehnsüchten der Frauen gefüttert und gepflegt.

«Männlichkeit» ist in erster Linie eine Maske, eine Schutzmauer, eine rituelle Lebensweise, hinter der sich Menschen verstecken, die Angst vor Autonomie und Authentizität haben. Das Wegfallen dieser Maske ist keine Krise, sondern ein Befreiung, die zu echter Autonomie genutzt werden kann.

Der Verfall der klassischen Fatamorgana «Männlichkeit» löst einen engen, vorgegebenen und effektiv unbegehbaren Pfad auf und öffnet die Perspektive auf Millionen Wege zu Selbstwerdung. Die Schwächung von Geschlechterrollen mag etwas verunsichern, aber das ist nichts ungewöhnliches, wenn man plötzlich die Freiheit unzähliger Möglichkeiten erkennt.

Die Freiheit, die Person zu werden, die ich sein will, ohne dabei Erwartungen und Rollenbilder erfüllen zu müssen. Die Freiheit, Charles Bronson, Prince oder Coco Chanel zu werden. Die Freiheit, mit weiblichen und männlichen Stereotypen zu spielen. Die Freiheit, meine Persönlichkeit zu entwickeln, ohne dass mir mein Schnäbi dabei im Weg steht. (Kalaueralarm!)