Spiritueller Bullshit

Wisdom, ich schwööör! Wisdom, ich schwööör!

“ … und dann hab ich mir gedacht, dass ich diese ganze negative Energie nicht mehr in meinem Leben brauche. Darum les ich keine Zeitungen mehr und interessiere mich nicht für Politik …„, gehört bei einem Gespräch von zwei Frauen, die sich gerade auf einem Selbstfindungstripp durch Asien bewegen – viel Yoga, viel Vipassana, viel Awareness und noch viel mehr „Wisdom of the East“.

Meist läuft die tiefere Erkenntnis, die solche „Suchende“ aus den verschiedensten Workshops, Retreats, Büchern und Techniken mitnehmen, auf denselben Lebensweisheiten-Bullshit hinaus, den man holpriger formuliert früher auch auf Kalenderblättern und auf Zuckersäckchen  finden konnte.

Zwischenspiel
– Man sieht nur mit dem Herzen gut –
Was soll denn dieser Bullshit heissen? Dass man einzig auf sein Gefühl vertrauen soll? Nun, nein. Man muss in der realen Welt oft auf Auge und Vernunft zurückgreifen, um Lösungen zu finden. Wenn, dann: „Man sieht auch mit dem Herzen gut.“

Versteht mich nicht falsch, ich habe nichts gegen eine Selbstfindungsphase. Ich denke, es tut jedem Menschen gut, ab und zu mal in sich zu gehen und sich seines Weges, seiner Person und Werte zu versichern. Ich denke sogar, dass man einige Menschen zu so einem Prozess nötigen sollte. Aber es ist wie alles eine Frage des Masses.

Selbstfindung ist kein Selbstzweck. Und das Innere ist keine Entschuldigung für das Abwenden von der Welt. Ansonsten ist die ganze Bauchnabelgrübelei narzisstisches Heucheln.

Wenn man sich während Jahren «kennenlernt», während man sich dabei nur auf sein Inneres konzentriert, sich dabei aus der Verantwortung der Gemeinschaft stiehlt, ist das in meinen Augen Narzissmus und Egozentrik. Es wird zum Teil genau jenes Problems, das man eigentlich in der eigenen Persönlichkeit lösen will. Das eigene Ich, die eigenen Schwierigkeiten, der eigene Prozess wird grösser als das restliche Universum, nein, er WIRD das Universum.

Der Rückzugsprozess wird an einem Punkt zum Charakterdefekt, wo er eigentlich Neuorientierung bieten sollte. Noch schlimmer, wenn man dieses Abwenden von der Gemeinschaft und diese exzessive Selbstfixiertheit als spirituellen Wachstum versteht und so auch seinem Umfeld kommuniziert.

Wenn das ganze dann noch in dem süsslichen, herablassenden Ton für diejenigen verbreitet wird, den diese Westentaschen-Bodhisattvas, Freizeit-Oshos und Hippie-JesuInnen für „spirituell Zurückgebliebene“ reserviert haben, macht meine Buddha-Natur Pause und übergibt dem Hulk das heilige innere Ich. Zack.

Es ist wirklich wichtig, dass jede und jeder einen tieferen Sinn in seinem Leben finden kann. Ich kann aber auch jedem und jeder versichern, dass man den nicht im Innern seines Bauchnabels findet. Man vermindert übrigens auch nicht das Böse in der Welt, indem man sich hinsetzt und gute Gedanken an die verdorbene Welt schickt. Wenn man die Welt zu einem besseren Platz machen will, muss man mit anpacken und sich die Hände schmutzig machen. Man muss sich „all dieser Negativität“ aussetzen und ihr sogar etwas entgegensetzen. Manchmal muss man einer Faust mit einer Faust begegnen.

Weisheit zeigt sich im verantwortungsbewussten Handeln, in der Teilnahme an der Menschheit und ihren Problemen, nicht in Coelho-Bullshit-Sprüchen auf Sonnenuntergangsbildchen. Nehmt den Kopf aus dem Arsch, ihr habt genug lange über euer Inneres meditiert. Zeit, euren Platz und eure Verantwortung  in der Gemeinschaft einzunehmen.

Off topic:
Ich treffe mehr Frauen als Männer, die sich für eine Weile dieser inneren Suche hingeben. Das ist ok, für eine Weile. Und man kann diese Frauen bis ins mittlere und obere Kader der Spiritualitätsindustrie finden. Aber warum zum Teufel sitzt am Kopfende der Seelenheil bringenden Tafel immer ein männlicher Guru, Priester, Lehrer, Yogi? Macht das denn niemanden misstrauisch?