Ausgrenzung & ethnische Identität

Wer wird in der Schweiz wohl am wenigsten nach dem Woher gefragt? Wer wird in der Schweiz wohl am wenigsten nach dem Woher gefragt?

„Ja, mein Name ist arabisch, aber ich bin hier geboren und aufgewachsen …“ – diesen Satz sage ich täglich. Einmal am Tag. Ich kann ihn auswendig und er gehört zu meiner sprachlichen Grundausrüstung wie „Grüezi“.

Klar, es gab vielleicht auch mal eine Woche, in der ich diesen Satz nicht sagen musste. Dafür gabs auch gehäuft Tage, an denen ich diesen Satz mehrmals sagen musste. An Konferenzen zum Beispiel. Bei neuen Kunden. Wenn ich eine neue Klasse unterrichte. Immer, wenn ich in meiner Stadt, in meinem Land auf neue Menschen treffe.

Seit Dieter Bohlen wie ein Arschloch auf ein kleines Kind eindrang und wegen ihres Aussehens insistierte, dass sie nicht aus Deutschland stammen könne, geht die Diskussion um nationale Zugehörigkeit richtig los. Es fiel der Begriff „völkische Identität“ und dann schlugen gleich hohe Wellen. Es gehe nicht um Rassismus, es gehe nicht um Ausgrenzung.

Nein, es geht nicht um Rassismus. Um Ausgrenzung, wenn auch unbewusste, gehts sehr wohl. Die Frage „Woher“ bedeutet im Kern nur eines: Nicht von hier. Und da beginnt die Abgrenzung, die Ausgrenzung, auch wenn ohne Absicht.

„Ich werde auch gefragt, woher ich komme. Meist ist damit mein Herkunftskanton gemeint“, war eines der Argumente, die hellhäutige Schweizer mit eidgenössischen Namen anbrachten. Und wenn sich jemand für die Herkunftskultur der Person interessiere, sei das doch nicht böse oder abwertend.

Nein, ist es nicht. Wenn man es denn akzeptiert, gleich beim ersten Mal, wenn ich sage „Meine Herkunftskultur liegt in Dübendorf. Ja, ich weiss, schlimm was da gerade abgeht. Aber ich bin da schon weg, bevor es so schlimm wurde …“ .

Wird nie akzeptiert. Kommt immer „Ja, aber deine Eltern/Vorfahren?“. Wenn ich mir dann erlaube, auf den Stammbaum meiner Mutter zu verweisen und „aus dem Aargau“ sage, insistieren die meisten lachend weiter, bis irgendwas Exotisches kommt.

Zwischenspiel 1

Am Telefon
Sie: (in Hochdeutsch) „…ja, wir haben da noch eine Dreizimmerwohnung. Wie war ihr Name nochmals? Al Arabi?“

Ich: „Nei, El Arbi, staht alles i dem Formular.“

Sie: „Woher kommt denn der Name, den hört man ja nicht oft hierzulande?“

Ich: „Dä Name isch arabisch.“
to be continued …

Ja, auch Leute mit Schweizer Namen und heller Haut werden nach ihrer Herkunft gefragt. Nur wahrscheinlich nicht von den Eltern eines Schulkollegen, bei der Arbeit an der Migroskasse, bei einem Bewerbungsgespräch oder bei der Wohnungssuche.

„Völkisch“ bedeutet nicht, dass man etwas abwertend meint, oder böse. Es bedeutet nur, dass man seine kulturelle Identität noch an ethnischer Zugehörigkeit festmacht, wie zu Zeiten von ethnischer Nationalität, und nicht anhand von geteiltem Lebensraum, unabhängig von Rasse, Religion oder ethnischer Abstammung. Und das führt dazu, dass Menschen, die nicht dieser Ethnie angehören, sich tausendmal öfters mit der Frage nach dem „Woher“ auseinandersetzen müssen, als Menschen mit Schweizer Namen und heller Haut.

Zwischenspiel 2

Sie: „Na, dann sprechen Sie aber sehr gut Deutsch, wie lange sind Sie denn schon in der schönen Schweiz?“

Ich (leicht genervt): “Deutsch liegt mir nicht so, ich hans eher mit em Schwiizerdüütsch. aber mis Hochdütsch langet immerhin, um für e dütschsprachigi Ziitig z schriibe. Wie isch jetzt das mit de Wohnig?“

Sie: „Vielleicht haben Sie gesehen, die Wohnung ist nicht ganz billig, haha, ist in dieser Gegend ja auch nicht zu erwarten.“
to be continued …

Das ist kein Drama. Es entspricht eben nur einer vorglobalen Welt und einem anti-cosmopolitischen Selbstverständnis. Aber es macht einen Unterschied im Selbstverständnis, wenn man täglich seine Herkunft erklären muss. Man fühlt sich nicht gleich zugehörig. Für manche Menschen kann das zu einer Zerrissenheit der Identität führen. Zugehörigkeit wird dann zu einem Willensakt, ist keine Selbstverständlichkeit.

Ich für mich hab das Dilemma so gelöst, dass ich die Schweizer Identität als eine Idee, eine Willenszugehörigkeit verstehe, in der sich die verschiedensten Kulturen zu einer Nation zusammengefunden haben, mit vier Landessprachen, 26 Staaten und seit mehreren Tausend Jahren  – Zuwanderung.

Schweizer sein bedeutet in erster Linie die Schweizer Werte zu leben. Und selbst die entwickeln und verändern sich kontinuierlich.

Zwischenspiel 3

Ich: „Ja, und?“

Sie (leicht konsterniert) : „Normalerweise suchen Einwanderer etwas eher günstigeres.“

Ich: „Ich han mich für die Wohnig beworbe, wenn chan i si go aluege?“

Sie: „Wenn sie sicher sind, dass Sie sich etwas in dieser Preisklasse leisten können, könnten wir uns morgen Abend da treffen, und ich zeig Ihnen dann alles. sie steht ja leer, also kein Problem.“

Ich: „Klar, keis Problem, min Vatter, de Ölscheich, zahlt ja.“
finish