Neid, Reichtum, Dankbarkeit

„NEID“ warf mir ein Twitterer, der sich selbst „Entrepreneur“ nennt, vor, als ich auf das Ungleichgewicht von Reichtum und Steuern hinwies.

Zuerst war ich ziemlich sauer, weil der Scheiss jedes Mal kommt, wenn man von sozialer Gerechtigkeit spricht, und weil der Typ offenbar keine Ahnung hatte, wer ich bin oder was mich antreibt. Ich hab ihn erst mal zusammengestaucht. Ihr kennt mich, ich war nicht nett.

Und dann musste ich einmal durchatmen und mich besinnen. Eigentlich sollte ich Mitleid haben. Natürlich konnte er meine Position nicht nachvollziehen. Er hatte offenbar niemals das Geschenk erhalten, jeden Morgen aufstehen zu dürfen und dankbar zu sein. Dankbar dafür, am Leben teilnehmen zu können, dankbar dafür, ein Teil der Gemeinschaft sein zu können, nicht isoliert zu sein, genug Geld für Essen und Rechnungen und sogar Hundefutter zu haben. Einfach dankbar dafür, am fucking Leben zu sein und Menschen zu haben, die gerne Zeit mit mir verbringen. Und keine Gier zu verspüren. Mit meiner Geschichte als Süchtiger danke ich dem Universum jeden Morgen auf den Knien, von Gier befreit zu sein. Nicht mehr immer immer mehr zu wollen.

Leute, die denken, ihr Leben und ihr Erfolg sei ausschliesslich ihre eigene Leistung, und nicht den Umständen geschuldet, in die sie hineingeboren wurden, können das nicht nachvollziehen. Sie denken, ihnen stehe das, was sie haben, auch selbstverständlich zu. Sie hätten sich das verdient. Und sie sind permanent auf der Suche nach mehr.

Ich bin mir hingegen bewusst, dass ich ohne euch nichts wär. Im wortwörtlichen Sinne. Natürlich hab ich meinen Teil dazu beigetragen. Aber mein Teil alleine hätte niemals nie ausgereicht. Das macht etwas demütig. Jaja, ich weiss, das ist nicht eine meiner offensichtlichsten Eigenschaften, aber ja. Bescheidenheit.

Für das Individuum kann Reichtum extrem schädlich sein. Es gibt wirklich Menschen, die ihren Selbstwert an ihrem Besitz (Geld, Status, Macht) messen, und die unbeschränkte Konsummöglichkeiten mit Freiheit verwechseln. Das ist eine Art seelische Pest, die wie eine Sucht fortschreitend und am Ende extrem zerstörerisch ist. Wer will schon reich, aber dafür ein gieriges Arschloch sein, dessen einzigen Werte sich auf Konten einzahlen lassen?  Natürlich sind oder werden nicht alle so. Aber die Gefahr besteht.

Ich mag Menschen ihren Reichtum gönnen. Ich denke sogar, dass Reichtum eine gewisse Freiheit ermöglicht, Sicherheit gibt. Ich denke nur, dass ein Teil dieses Reichtums der Gemeinschaft gehört, in dem er erwirtschaftet wurde. Und zwar stark progressiv und mit Steuern auf Kapitalgewinn, die die Einkommenssteuer übersteigen.

So cool Reichtum auch ist, wenn die reichsten 300 Personen in der Schweiz in einem Jahr 60 Milliarden zusätzliches Vermögen anhäufen – gleichviel wie der Bund für alle Schweizer an Steuern einnimmt – ist etwas nicht mehr im Gleichgewicht. Man kann es erkennen, wenn Reichtum Selbstzweck wird. Fünf Millionen sind Reichtum, fünfzig Millionen sind eine antidemokratische Machtanhäufung. Und alles was darüber ist, ist einfach nur pervers.

Wer das nicht sieht, wer sich da nicht mehr spürt und denkt, diese Art von absolut sinnfreiem Reichtum sei erstrebenswert, vielleicht auch wegen der Macht, die diese Art von Besitz gibt, ist  psychisch aus dem Gleichgewicht oder grössenwahnsinnig. Oder beides.

Das Recht auf Eigentum endet da, wo es durch die reine, in Geld kristallisierte Macht die demokratischen Rechte aller anderen ad absurdum führt.

Wer Besitz als das höchste Gut ansieht, hat ein ethisches Problem.