Grosse Krisen schärfen die eigene Persönlichkeit. Gerade jetzt, wo wir einer unsichtbaren Macht völlig ausgeliefert sind, zeigt sich unsere persönliche ethische Grundhaltung sehr deutlich. Wie reagieren wir auf Angst, Gefahr, Unbill?
Schön ist, dass der grössere Teil der Gesellschaft mit Solidarität, Gemeinsinn und Empathie reagiert. Meist still und unspektakulär denken und handeln die Menschen zum Besten ihres Umfeldes und der Gemeinschaft, gehen für Nachbarn einkaufen, bleiben zuhause, trotz des guten Wetters, betreuen Kinder von Fremden, sind, um es kurz auszudrücken, die besseren Versionen ihrer selbst. Sie finden so Trost und können der Angst und der Krise mit einem Gefühl der Gemeinschaft begegnen. Und: Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Dann gibts da aber auch die anderen. Diejenigen, die es nicht aushalten, wenn sie keine Kontrolle haben. Es zeigt sich daran, wo man die Grenze zwischen „Wir“ und „Die“ zieht. Es zeigt sich, ob der eigene Gemeinsinn nur das eigene Geschäft, den eigenen Klan, die eigene Klasse oder die eigene Ethnie einschliesst. Es zeigt sich darin, wen man ausgrenzt oder wen man für entbehrlich hält. Wen man für schützenswert hält. Das eigene Umfeld? Die eigene Berufsgruppe? Die eigene Altersgruppe?
Man kann die eigene Ethik daran messen, ob man überhaupt jemanden ausschliesst. Wenn man anfängt, eine Gruppe für entbehrlicher für die Gesellschaft zu halten, ist man ganz klar auf dem Weg zum Arschloch.
Dann gibt es die, die rationalisieren. Die der Krise darin begegnen, nur noch „das Grosse und Ganze“ zu sehen. Das hilft, um echtem Leiden auszuweichen. Man kann den Menschen ausblenden, wenn man sie nur noch als Zahlen wahrnimmt. Auch hier, wenn jemand vom „Greater Good“ zu sprechen beginnt, und dafür bereit ist, jetzt Leben zu opfern, um später vielleicht Schaden abzuwenden, wenn man meint, der Zweck des Späteren rechtfertige die Mittel des Jetzt, ist auf dem Weg zum Arschloch. Es ist eine urfaschistische Form der Güterabwägung.
Bei malignen Narzissten kann man das darin erkennen, dass sie von „harten Entscheidungen“ sprechen, die „keiner sich zu fällen getraut“. Meist heisst das, dass sie irgendwen über die Klinge springen lassen wollen, um irgendwann in der Zukunft einen Vorteil, meist für ihre eigene Kaste, zu erringen. Wenn immer irgendein Idiot von „harten Entscheidungen“ zu schwafeln beginnt, kann man davon ausgehen, dass weder er noch sein Umfeld die Konsequenzen tragen müssen.
Viele fallen jetzt in den Kriegsmodus, benutzen Kriegsrhetorik, um sich die Illusion von Kontrolle zu geben. Es ist einfacher einen Feind zu bekämpfen, als einfach mal eine Weile etwas auszuhalten. Und natürlich sieht sich jedes dieser Arschlöcher als unentbehrlicher General, und die anderen als die Soldaten. Wenn jemand von Opfern quasselt, die gebracht werden müssen, kann man davon ausgehen, dass nicht er sie bringen wird.
Und zum Schluss gibts noch diejenigen, die eine Gefahr einfach leugnen. Egal, wie hoch sich die Leichenberge stapeln, egal wie deutlich das Versagen unseres Wirtschaftssystems angesichts einer Krise ist, für sie soll alles einfach so werden wie früher.
Wir werden als Gesellschaft nicht unverändert aus dieser Krise hervorgehen. Wir haben die Chance, die guten Seiten in uns zu stärken und sie nach der Krise weiter zu pflegen. Wir haben die Möglichkeit, unseren ethischen Kern zu prüfen und neu zu definieren, zu wachsen. Aber es ist nicht einfach, denn sobald der Druck der Krise vorbei ist, besteht die Gefahr faul zu werden und wieder in unsere kleinlichen Sorgen abzugleiten, unserer Egozentrik nachzugeben.
Das andere Problem ist, dass die Arschlöcher, obwohl eine Minderheit, immer die Lauteren bleiben werden. Sie werden sich ins Rampenlicht drängen, ihren unmenschlichen Scheissdreck laut herausschreien und alle Fakten zu ihrem eigenen Vorteil verdrehen, absichtlich bösartig oder aber aus purer Unfähigkeit zu lernen.
Wir lassen das nicht zu. Jetzt ist der Punkt, an dem jeder eine bessere Version seiner Selbst werden – und den asozialen, bösartigen egomanen Hassbratzen entgegentreten kann.
Jetzt kann man sich zwischen Gut und Böse entscheiden, weil die Krise die Kontraste schärft.