Leute, die Welt ist etwas komplexer, als ihr sie gerne hättet. Zur Zeit muss ich mich mit bürgerlichen Idioten und Journalisten auseinandersetzen, die sich theatralisch in die Brust werfen, um gegen «Gewalt» zu sermonieren. Natürlich meinen sie nicht die Hinrichtung durch Ersticken von Polizisten an einem Schwarzen. Die meinen die Sachbeschädigungen und haben ihren fetten Arsch auch in den letzten Jahrzehnten nie hochgekriegt, um systemischen Rassismus zu verurteilen, ohne ein « …aber …» hintendran zu hängen.
Auf der anderen Seite hab ich gerade Linke, die «ACAB» (All Cops are Bastards) schreien, und denken, die Ausschreitungen in den USA würden irgendwie die pubertären 1.Mai-Pöbeleien rechtfertigen, oder Gewalt sei grundsätzlich gerechtfertigt in der politischen Auseinandersetzung. Die eine billige Pauschalisierung eines Feindbilds betreiben.
Dass Pauschalisierung der Scheisskern von Rassismus ist, sollte auch dem letzten Idioten klar sein. Jetzt eine „Wir/Sie“-Front nach Hautfarbe oder Beruf aufzubauen, ohne die Handlungen von Individuen zu berücksichtigen, ist Kackscheiss. Wir hassen Rassisten, nicht eine Berufsgattung, klar?
Was in den USA geschieht, hat eine ganz eigene, sehr alte Dimension, ist eine Entladung von Wut und Frust, die sich über Jahrzehnte, Jahrhunderte angesammelt hat. Die schwarze Community macht das nicht zum ersten Mal durch. Leute in meinem Alter können sich noch an das brennende Los Angeles nach Rodney King erinnern.
Aber was ist jetzt mit dieser Gewalt?
Gewalt ist gerechtfertigt, um sich Gehör zu verschaffen, wenn deine Freunde in den Strassen grundlos umgebracht werden. Wenn du als Schwarzer oder Latino nicht alleine durch eine Strasse gehen kannst, ohne die Gefahr, von einem Gesetzeshüter erschossen zu werden.
Wenn Menschen sterben, ist das Recht auf Selbstverteidigung gegeben. Wenn Gruppen systematischer Gewalt ausgesetzt sind, die ihr Leben bedroht, ist Selbstverteidigung gegeben. Wenn deine Community über Generationen misshandelt, ausgegrenzt, umgebracht, benachteiligt und gehasst wird, ist Gewalt ein Mittel, um sich Gehör zu verschaffen. Wenn du sozial und wirtschaftlich immer ans untere Ende der Gesellschaft geschoben wirst, deine Urgrosseltern, deine Grosseltern, deine Eltern und jetzt du, ist Gewalt eine Form von Protest.
Natürlich gibts noch andere Formen von Protest, aber auf die hat bisher niemand wirklich gehört. Die Politik reagiert genau nur dann, wenn sie Angst hat, dass ihre Städte in Flammen aufgehen. Und wenn dazu einige Steine geschmissen und einige Autos angezündet werden, hab ich Verständnis dafür.
Das Problem mit der Gewalt ist, dass es keine Lösung ist, sondern nur ein Hilferuf. Gewalt hat immer nur mehr Gewalt zur Folge gehabt. Wenn also einige Nächte Randale herrschen, wird man gehört. Wenn einige Nächte mehr Randale herrschen, wird man erschossen.
Der dünne Grat, wann Gewalt bis zu einem gewissen Grad gerechtfertigt ist, und ab wann diese Rechtfertigung nicht mehr gegeben ist, kann kein Mensch definieren. Das Risiko, dass man mit einem Streichholz einen Flächenbrand auslöst, ist immens, wie man gerade in den USA sehen kann.
Ich weiss auch keine Lösung. Was ich aber weiss ist, dass wenn man mit Gewalt gegen eine Staatsmacht vorgeht, es immer die Staatsmacht ist, die dann gewinnt. Die Opfer werden die gleichen sein wie seit Jahrzehnten.
Es ist besser, wenn man die positiven Kräfte innerhalb der Systems gewinnt.