Seit einiger Zeit heulen Libertäre, Verschwörungstheoretiker und Rechtsnationale über Cancel Culture. Also darüber, dass sich Unternehmen und Private entscheiden, die Geschäftsbeziehungen zu Leuten einzustellen, die sich in irgendeiner Weise geäussert haben, die sich nicht mit den eigenen Werten vereinbaren lässt.
Seit Twitter und Facebook Beiträge kennzeichnen oder sogar löschen, die Lügen, Fake News oder Hass verbreiten, ist das Gejammer noch lauter geworden. Lustig gerade bei Facebook, das sich erst nach einigen Millionen Dollar gecancelten Werbeaufträgen dazu entschieden hat.
Diese Leute meinen, wenn Personen oder Unternehmen rassistischen, sexistischen oder sonstigen Brunz verbreiten, dürfe das keine Auswirkungen auf deren Geschäfte haben, weil Meinungsfreiheit.
Mein Herz blutet. Ich schwör. Ich weine darüber jeden Tag einen Bottich voll bitterer Tränen.
Zuerst mal Meinungsäusserungsfreiheit: Du hast das Recht, deine Meinung zu äussern. Der Staat darf dich nicht daran hindern, solange du nicht die Würde, die Sicherheit oder die Gesundheit anderer damit verletzt. Das Grundrecht auf Würde und Unversehrtheit steht über dem Recht auf Meinungsäusserung.
Zudem hat jeder andere das Recht, dich für deine Äusserungen für ein Arschloch zu halten. Und wenn er dann nichts mehr mit dir zu tun haben will, ist das ebenfalls sein Recht.
Dann zum Recht auf Wirtschaftsfreiheit: Du darfst dein Produkt oder deine Dienstleistung anbieten, solange es den rechtlichen Grundlagen entspricht, und du für deine Gewinne und den Mehrwert Steuern zahlst. Du hast nicht das Recht darauf, dass die Leute dein Produkt auch kaufen, Verträge mit dir abschliessen oder sonst Geschäfte mit dir machen. Jeder andere hat das Recht darauf, selbst zu entscheiden, mit wem er wirtschaftlich verbunden sein will.
Wenn du nun also rassistischen, sexistischen Scheiss oder Fake News verbreitest, kann jeder selbst entscheiden, ob er noch was mit dir zu tun haben will.
Beispiel: Eine Beiz, die nur Nazi-Punk spielt, kann mich nicht zu ihren Gästen zählen. Zu extrem? Ok, eine Beiz oder ein Laden, der absichtlich „Dubler Mohrenköpfe“ verkauft oder sexistische Werbung macht, hat mich nicht als Kunden. Ist meine Freiheit.
Oder: Wenn du jeden Tag in eine Beiz gehst, und da verbal rumpöbelst, kriegst du irgendwann Beizenverbot. Wenn du in der Öffentlichkeit rumpöbelst, kann es sein, dass du gar nicht in die Beiz reingelassen wirst. Das ist keine Diskriminierung, das sind Konsequenzen auf dein Verhalten, nicht auf deine Person.
Das betrifft übrigens auch mich: Es gibt jede Menge Aufträge, die ich nicht kriege, weil ich für meine Positionen bekannt bin. Aber ich schnüdderle deswegen nicht in Mamis Rockzipfel.
Meinungsäusserungsfreiheit bedeutet nicht, dass es keine Konsequenzen hat. Meinung braucht Mut. Wer eine Position bezieht, macht sich angreifbar. Wer Position beziehen will, muss sich der Konsequenzen bewusst sein. Wer das anonym macht, oder wer sich über Gegenwind beschwert, ist einfach ein Feigling oder ein kleiner Schwitzpimpel.
Das Gute an der Cancel Culture ist, dass die Leute vielleicht kurz nachdenken, bevor sie ihren Laberlatz öffnen. Vielleicht entscheidet sich der eine oder die andere, weniger Arschloch zu sein. Wenigstens in der Öffentlichkeit.