«Wotsch Puff?» (Portrait)

Marlon Rusch /Schaffhauser AZ 25.02.2021

Ende November 2020 platzte es aus Andreas Glarner heraus. Unter einen Tweet von Reda El Arbi schrieb der SVP-Scharfmacher: «Schweigen Sie doch zum Wohle der Schweiz für einmal!» Reda El Arbi tut das, wovor sich die Rechtspopulisten am meisten fürchten: Er dreht den Spiess um.

Während die schöngeistigen Linken sich empören, wenn die Köppels, Glarners und Trumps dieser Welt ein Tabu nach dem anderen brechen und ihnen damit direkt ins Messer laufen, schlägt Reda El Arbi zurück: mit einer fadengeraden Linken. Vor ein paar Tagen schrieb er etwa: «Wenn @Erich_Hess auf Clubhaus wiederholt ‹N****› sagen kann, dann kann ich auf Twitter wiederholt ‹seelisch verkrüppeltes, rassistisches Arschloch› sagen. Er muss sich damit ja nicht betroffen fühlen, es ist nicht abwertend gemeint. Ich schwör.»

Es ist ein typischer Reda-El-Arbi-Tweet, einer von bisher 51 130, die der Blogger an seine derzeit 12 000 Follower abgesendet hat. Und es ist eine Anspielung. Im März 2020 wurde der 48-Jährige wegen übler Nachrede und Beschimpfung verurteilt. Er hatte den Beitrag einer SVP-Grossrätin auf Facebook folgendermassen kommentiert: «Egal ob man christliche, humanistische oder psychologische Massstäbe nimmt. Der Missbrauch von Opfern eines antisemitischen/rassistischen Anschlags für rassistische Identitätspolitik ist ethischer Dreck und zeugt von tiefer psychologischer Verkrüppelung. Es ist genau die Weltsicht, die der Massenmörder Breivik, der Christchurch-Schlächter und der Halle-Attentäter vertreten. Sie ekeln mich an. Freundlichst, ein atheistischer Exkatholik mit arabischen Wurzeln und 20 Prozent jüdischer Herkunft.»

Für den Beitrag musste er 1750 Franken Strafe zahlen. Doch warum wirft sich Reda El Arbi ohne Rücksicht auf Verluste in eine Schlacht nach der anderen? Eine Antwort lautet: Abbitte.

Spaziergang durchs Minenfeld

Eines Tages, es waren die späten 80er-Jahre, stand der junge Künstler Reda El Arbi in einem besetzten Haus in Zürich und begann, sein Werk zu verbrennen. Das Leitmotiv der Bilder waren Depression und Weltschmerz, eine Serie handelte von Suiziden im Gefängnis.

Er hatte nicht schlecht verkauft nach der Kunsthochschule, konnte kurze Zeit davon leben, tingelte durch die Zürcher Szene, verkehrte in den Clubs, aber auch am Fixer-Hotspot Platzspitz. Sein Glück: Er hatte panische Angst vor Nadeln und rauchte das Heroin bloss. So blieben ihm Krankheiten erspart. Und eine Überdosis. 15 Jahre lang konsumierte er jeden Tag Opiate und andere Drogen, dealte, log, betrog. Von seiner Clique überlebten zwei. «Ich bin durch ein Minenfeld spaziert», sagt er heute. Irgendwann habe er in den Spiegel geschaut und gesagt: «So ein narzisstisches Arschloch wie dich möchte ich nicht zum Freund haben.»

Eine Generation zuvor lernte ein junger Mann aus Algerien in Paris eine Schweizerin kennen. Er hatte Ende der 50er-Jahre im Algerienkrieg gekämpft, später erhielt er Geld für ein Stipendium in der DDR und setzte sich damit nach Paris ab. Die Frau, die er dort traf, besorgte den Haushalt bei der Psychoanalytikerin Anna Freud, der Tochter von Sigmund. Doch als der schnittige Algerienveteran dastand, kündigte sie und ging mit ihm auf Weltreise.

Ein paar Jahre später landeten sie in der Schweiz, hatten zwei Kinder, doch der Vater merkte, dass es doch noch nicht Zeit war, sesshaft zu werden. Also zog die Mutter die Kinder in der Agglo Dübendorf eben alleine auf, und obwohl sie eigentlich mehr genug mit sich selber beschäftigt war, impfte sie ihrem Sohn ein: Steh zu dir! Vertrau deinem Bauchgefühl! Und setz dich für die Schwächeren ein! Dass er tatsächlich die Macht hat, etwas zu bewirken, realisierte Reda El Arbi aber erst später – durch einen harmlosen Reiseblog.

Der Kodex der Jedi

Nachdem die Bilder verbrannt waren, versuchte er sich zuerst in der Werbebranche, doch Drogen und Verlogenheit seien auch hier allgegenwärtig gewesen. Also zog er weiter in die IT, doch das Heroin machte ein normales Leben irgendwann gänzlich unmöglich. Er verlor seine Wohnung, wusste nicht mehr weiter. Nach einem Entzug haute er ab, reiste durch Südostasien.

Es war das Jahr 2005, die Schweiz kannte noch keine sozialen Medien, doch Reda El Arbi wollte sich mitteilen. Noch heute macht er keinen Hehl daraus: «Ich bin Narzisst.» Also begann er, Newsletter zu verschicken. Als ihm das zu mühsam wurde, baute er einen Reiseblog auf. Damit gehörte er zur Avantgarde und als sich plötzlich tausende Leserinnen auf seiner Seite tummelten, merkte er, dass er etwas hatte, was Mediensoziologen heute «Reichweite » nennen. Bald ging der Reiseblog offline, dafür tauchte ein neuer auf: «Redders Welt», soziale Themen, Gesellschaftspolitik.

Bald war sein Blog einer der meistbesuchten des Landes. Er war zum Influencer geworden. «Aber in einer Zeit, als Influencen noch nicht bedeutete, Lippenstift zu verkaufen.» Der Gerechtigkeitsgedanke, den ihm seine Mutter eingepflanzt hatte, begann zu spriessen. Und er wurde genährt von der Popkultur. Die Allegorie von «Star Wars» hat ihn reingezogen, der Kodex der Jedi, das Schwert für eine gute Sache zu erheben, der Kampf an der Seite der Entrechteten, der verantwortungsvolle Umgang mit der Macht. Seine Sammlung an Lichtschwertern, die sich heute in seinem Haus in Stein am Rhein stapeln, umfasst mittlerweile ein Dutzend Exemplare.

Februar, 2021, einer der ersten Sonnentage des Jahres, das Städtchen ist wie ausgestorben. Einen wie Reda El Arbi würde man hier nicht unbedingt vermuten, und es war auch eher der Zufall, der ihn hergeführt hat. Seine Frau arbeitet als Fledermausforscherin am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell, Redas Kosmos ist Zürich, doch dort leben will er nicht mehr. Der Kompromiss war Stein am Rhein. Hier leben sie seit zehn Jahren, ein altes Riegelhaus mit Garten, als Büro dient in virenfreien Zeiten ein Café an der Uferpromenade.

Aus der lokalen Politik hält sich Reda El Arbi raus. Vielleicht besser so für den Frieden im Städtli. Und für ihn. «Ich ziehe Hass auf mich», sagt er. Das sei okay, in diesem Spannungsfeld fühle er sich am wohlsten. Doch er wolle den Hass gern fernhalten von der eigenen Haustür. Es gebe immer mal wieder Drohungen.

Eine Sprache wie auf der Baustelle

Nun ist es ja kein Alleinstellungsmerkmal, gegen Rechtspopulisten zu wettern. Inhaltlich gehört Reda El Arbi zum Mainstream. In der Form aber ragt er heraus.

Eine Zeitlang bloggte er für den Tages-Anzeiger, bespielte für Geld den Stadtblog, doch da fühlte er sich irgendwann nicht mehr wohl. Der Tagi als linksliberales Blatt sei nicht mehr existent, sagt er. Heute schreibt er – neben dem Twitteraccount und seinem Schlachtenbummler-Blog fadegrad. co – eine Kolumne für das Online-Medium nau.ch. «Die linke Bubble langweilt mich. Ich will wissen, was die alleinerziehende Mutter in der Zürcher Agglo bewegt, und ich will so schreiben, dass sie es liest», sagt er. nau.ch habe eine andere Zielgruppe als die Republik, die Leserschaft sei ländlich, eher konservativ. «Die schätzen eine klare Ausdrucksweise, eine Alltagssprache, die man auch auf der Baustelle benutzt.» Das kommt ihm auch persönlich gelegen. Objektivität, den Anspruch, jede Position zu berücksichtigen, auch wenn sie dem Zusammenleben schade, halte er nicht aus: «Mir schläft das Gesicht ein, wenn man immer alles ausdiskutieren will.»

Er selber sei ein Katalysator, ein Transformator, er nehme ein politisches Thema und reduziere die Komplexität, breche das Thema runter auf ethische Grundsätze. Dann spitze er zu, damit das «ethische Gefälle» sichtbar werde: Ist eine Sache richtig oder ist sie falsch? Nützt sie den Schwächeren? Übernehmen die Starken Verantwortung? Früher habe er zwei Berufswünsche gehabt: Mafiaboss oder Reporter. Heute sagt er: «Ich bin kein Journalist, ich mache Meinung.»

Die Sucht als Lehrblätz

Es waren nicht nur die Mutter und die Jedi, die ihn wegführten von der dunklen Seite. Auch seine eigene Geschichte hat Reda El Arbi transformiert. Dass ihm Integrität so wichtig sei, habe Wurzeln in der Sucht. «Ich war als Lügner sehr virtuos», sagt er. So habe er auch ein Gespür dafür bekommen, wenn andere Leute Bullshit erzählten. «Die Empathie hilft mir jetzt, zu merken, wenn jemand beschönigt.» Das Engagement für die gute Sache ist Reda El Arbis Katharsis, seine persönliche Reinigung. Doch längst lebt er auch von der Kommunikation, er arbeitet selbstständig mit seinem losen Netzwerk für NGO, manchmal für den Bund, mittlerweile nicht mehr an der Front, sondern in der Konzeption.

Seit der Bürger mit dem Internet gläsern geworden sei, müssten Institutionen anders kommunizieren als früher: «Du musst Fehler heute auch mal zugeben, sie werden sowieso gefunden. Das ist eine Frage von Glaubwürdigkeit und Integrität. » Mit dem Motto «fadegrad» setzt er genau darauf: Direktheit, Offenheit, Schonungslosigkeit. Er lebe recht gut von der Kommunikation, sagt Reda El Arbi, auch wenn er durch seine privaten Fehden gegen die Schurken dieser Welt wohl rund 50 Prozent der möglichen Kunden vergraule. 50 Prozent – so viel ist das Seelenheil wohl alleweil wert.