Kaum ein:e Politiker:in, politische Essayist:in oder einfache Lobbyist:in, die in den letzten Wochen im Zusammenhang mit Pandemiemassnahmen oder Zertifikationspflicht nicht voll triefendem Pathos die Gefahr der „Spaltung der Gesellschaft“ beschworen hat.
Und das ist Bullshit in einer Gesellschaft, deren Demokratie von ständigem Diskurs, harten politischen Auseinandersetzungen und Streit getragen wird. Schauen wir in die letzten 50 Jahre, hatten wir immer wieder gesellschaftliche Auseinandersetzungen, die schmerzhaft ausgetragen wurden. Egal ob in den 68ern, in der 80er-Bewegung, in der Anti-AKW-Bewegung und vielen anderen Themen, es gab immer scharfe Töne und lautstarken Streit in unserer Gesellschaft. Wir sind eine Schweizer Familie, das gehört dazu.
Was hier aber ganz bestimmt anders ist: Die „tiefen Gräben“, die mitten durch unsere Gesellschaft gehen sollen, führen nicht wirklich durch deren Mitte. Im Gegensatz zu den oben erwähnten unruhigen Zeiten haben wir dieses Mal keine relevante gesellschaftliche Bewegung, sondern ein paar hundert Spinner mit 12 Kuhglocken, eine marginale, radikalisierte Minderheit, die sich mithilfe von verantwortungslosen Medien und populistischen aufmerksamkeitsgeilen Parteien als „Stimme des Volkes“ aufspielt.
Zuerst einmal muss man klarstellen, dass der Grossteil der Ungeimpften nicht Massnahmengegner, Wissenschaftsleugner, Schwurbler oder Verschwörungstheoretiker sind, sondern nur verunsichert, faul oder ignorant. Sie werden den gesellschaftlichen Notwendigkeiten und dem sozialen Druck nachgeben, ohne dass sie darunter leiden.
Das Neue an dieser Situation ist nicht die Vehemenz der Auseinandersetzung, sondern deren Protagonist:innen. Die Massnahmen- und Impffragen haben nicht eindeutig nach rechts oder links ausgeschlagen. Diese Streitpunkte haben langweilige Füdlibürger radikalisiert, die sonst immer direkt zu Sport- oder Modeteil der Zeitungen sprangen, falls sie überhaupt welche lasen. Damit ergibt sich die Täuschung, dass diese Schreihälse aus „der Mitte der Gesellschaft“ kommen. Dem ist nicht so.
Die Mitte der Gesellschaft sind diejenigen, die sich für die Gesellschaft einsetzen, die einen Weg aus der Krise suchen. Wer sich hysterisch radikalisiert, auch wenn er oder sie bisher nicht mal in der Gemeindepolitik den Durchblick hatte, verlässt diese Mitte der Gesellschaft.
Der „Riss durch die Gesellschaft“ spaltet uns also nicht in der Mitte, sondern zeigt die äussere Bruchkante des Diskurses. Wir haben die breite Bevölkerung, die sich seit 18 Monaten an die Massnahmen hält, sich für die Gemeinschaft einschränkt, und dann haben wir ein paar Trotzköpfe und deren Mitläufer, die jegliche Anstrengung auf dem Weg zur Normalität hysterisch und laut sabotieren. Und da wäre eigentlich eine klare Linie von Parteien und Medien gefordert, nicht weichgespültes Konsensgeschwurbel. Das würden die ja auch bei radikalisierten Rechten, Linken oder Islamisten nicht bringen.
Dass Parteien und Lobbys das Momentum missbrauchen, war zu erwarten, macht aber noch immer keine „Spaltung der Gesellschaft“ aus, sondern einfach alltäglichen Populismus, wie wir ihn vom geschürten Fremdenhass bei Flüchtlingswellen kennen.
Dass skandalgeile Medien für Klicks und Quote den Schwurblern aber so viel Platz einräumen, ist ein echtes Versagen der Branche.
Also, wenn ihr das nächste Mal „Spaltung der Gesellschaft“ oder „zum Diskurs einladen“ hört, überlegt euch, ob man da „Brücken bauen“ soll, und vorallem: Welche radikalisierten Grüppchen von Idioten über diese Brücken „in die Mitte der Gesellschaft“ stürmen.