Einige mögen sich vielleicht noch erinnern: Im Frühjahr 2020 habe ich noch behauptet, Corona sei nichts weiter als eine Grippe und man solle nicht so hysterisch tun. Ich hatte viel Meinung und gar keine Ahnung. Und ich musste schon zwei Wochen später ein Mea Culpa nachreichen, indem ich zugab, ein Idiot zu sein. Wieso bin ich damals nicht falsch abgebogen und bei den Querdenkern gelandet?
Diese Woche hatte ich eine kurze Diskussion auf Twitter, wos darum ging, welche Parallelen Sucht und Querdenkertum haben, und meine Co-Moderatorin hat mir heute einen ZEIT-Artikel geschickt, in dem von einem psychisch angeschlagenen Ex-Süchtigen berichtet wird, der es aus der Querdenker-Szene zurück in die Realität geschafft hat.
Ein erster Reflex auf die Zeit-Story wäre wohl: Wenn es ein so angeschlagener Mensch schafft, aus diesem Wahnsinn auszubrechen, dann können es alle schaffen! Das ist ein Fehlschluss. Der Mann hat es nicht trotz seiner Lebensgeschichte, sondern wegen seiner Lebensgeschichte geschafft. Als Ex-Süchtiger muss man irgendwann in seinem Leben zugeben, dass die eigene Weltsicht Scheisse ist, nichts mit der Realität zu tun hat, und dass man Hilfe braucht.
Man weiss also bereits, wie es ist, vor aller Welt einen Fehler begangen zu haben und den dann auch einzugestehen. Wenn man sich wieder verrannt hat, ist es nicht mehr so neu und schmerzhaft, hinzustehen und zu sagen: „Mensch, ich hab wieder mal Shit geschaufelt. Helf mir.“
Aber wie sieht es mit den vielen Querdenkern aus, die gerade wie Pilze im Corona-durchweichten persönlichen Umfeld schiessen? Sind die auch wieder abholbar? Kann man diese Beziehungen wieder reparieren?
Zuerst müsste man sich entscheiden, ob man diese Menschen als erwachsene, mündige Bürger behandelt, die verantwortlich sind für ihr Handeln. Oder ob man in ihnen arme Opfer einer sektenartigen, realitätsfremden Denkweise sieht, die sie in den Bereich der wahnhaften Unmündigkeit stellt. Diese persönliche Einordnung ist extrem schwierig.
Ich persönlich halte es ähnlich wie bei den Drogensüchtigen, die ich in den letzten 20 Jahren aus der Sucht begleitet habe: Ich sehe ihre Krankheit, berücksichtige sie, mache aber die Person trotzdem auf die Konsequenzen ihres Handelns aufmerksam. Ich gebe nicht nach, ich ziehe zur Verantwortung, indem ich konfrontiere. Wenn das nichts nützt, breche ich den Kontakt vorläufig ab, mache aber klar, dass die Türe offensteht, wenn jemand wieder zurück in die Realität kommen will, wenn jemand meine Hilfe braucht.
Was ich nicht mache, ist, diese Menschen zu verhätscheln. Meine Erfahrung mit meiner eigenen Sucht hat mich eines gelehrt: Solange andere meine Denkweise nicht konfrontieren, solange andere um meine Krankheit herumschleichen, meine Weltsicht stützen, solange ich keine Konsequenzen tragen muss, darunter den Verlust von lieben Menschen im Umfeld, solange gibts für mich keinen Grund, mich zu reflektieren und zu hinterfragen.
Erst, wenn die Konsequenzen schmerzhafter sind als die Scham, einen Fehler zuzugeben, bin ich bereit, meinen Geist wieder zu öffnen. Die mag gerade im eigenen, familiären Umfeld schwierig sein. Aber ein Querdenker, um den alle mit Vorsicht herumschleichen, dem man die Eier schaukelt, den man dem Frieden zuliebe schont, fühlt sich bestätigt. Und die Diskussionen? Eher nicht. Ein Querdenker, mit dem man endlos seine Welt diskutiert, muss seine Welt nie verlassen.
Dann gibts neben den in meine Augen verführten Sektenopfer auch noch die Täter. Menschen, die Verschwörungstheorien verbreiten, um Macht, Befriedigung und persönlichen Vorteil daraus zu generieren. Und auch hier benutze ich die Allegorie der Sucht:
Das sind die Scheiss-Dealer, die den dreckigen Stoff an die Schwächsten verticken. Oft glauben sie ihren eigenen Scheiss selbst nicht wirklich, baden sich aber in der Aufmerksamkeit, die ihnen von ihrer Gefolgschaft und den Medien geschenkt wird.
Und da hab ich keine Beisshemmung. Diese Leute kriegen überall und immer einen verbalen Tritt in die Klöten, werden satirisch demontiert, werden sozial geächtet. Sie sind nichts anderes als die bösartigen Sektenführer der 70er und 80er Jahre, als Sekten-Deprogrammierung noch ein Beruf war. Diese Leute verbreiten eine Pest zum eigenen Vorteil und sollten politisch demontiert werden.
Um auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen: Ist eine Versöhnung mit Querdenkern möglich? Ja, manchmal. Sicher nicht jetzt, in der akuten Phase des Wahnsinns. Aber in ein paar Monaten, vielleicht in einem Jahr, wenn der Kater nach dem Sektenrausch kommt, kann man vielleicht wieder aufeinander zugehen.
Leider wird es wohl zuerst schlimmer, bevor es besser wird. Viele der Querdenker müssen erst ihre ganze Lebensgrundlage vernichten, Job, Freunde, Familie verlieren, bevor sie bereit sind, über den Abgrund zurückzukommen und um Hilfe zu bitten.
Aber dann werden wir da sein. Ich versprechs.