„Das isch en Schafseckel!“, „Huere Tubel!“, „So en Schissdräck!“, „Was für en Wichser!“, „Dem hätts doch is Hirni gschisse!“ – wo sind wir hier gelandet? In den sozialen Medien 2022?
Nein, auf dem Pausenplatz, im Gespräch zwischen besten Freundinnen, in der Uni-Mensa oder auf dem Bau, irgendwann zwischen 1970 und 2022. Viele Medien, zuletzt der Tages Anzeiger in einem Beitrag zu meinen Rechtsstreitigkeiten, sprechen von „Hass im Netz“, wenn sie eigentlich von einer unhöflichen Umgangssprache oder einem herzhaften Fluchen sprechen. Wie es im Übrigen von den meisten Menschen ab und zu benutzt wird. Ja, auch von Ihnen, geben Sie’s zu!
Zum Verständnis: Hass im Netz ist es, wenn man jemandem Vergewaltigung wünscht, oder ein Standesgericht und Erschiessung für den Bundesrat fordert, wenn man jemanden aufgrund unwählbarer Attribute wie Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Identität, Herkunft oder bei Geburt erhaltene Religion abwertet oder diskriminiert. Wenn man einen Mob auf eine wehrlose Person hetzt oder wenn man Lügen über einen Menschen verbreitet, um dessen Lebensgrundlage zu vernichten.
Wenn man jemanden „Idiot“ oder „Kotzbrocken“ betitelt, für etwas, das dieser Mensch getan hat, ist das extrem unhöflich, aber kein Hass, sondern Streit. Man beurteilt das Handeln der Person, indem man ihr einen unschönen Titel anhängt. Man hasst die Person nicht, sondern hält sie für einen „Löli“, en „blöde Siech“, en „Glünggi“ und e „Sürmel“.
Hier vielleicht auch wichtig: Der Unterschied zwischen Höflichkeit und Anstand. Höflichkeit umfasst die Form, nicht den Inhalt. Man kann durchaus höflich den menschenverachtendsten Dreck von sich geben. Anstand hingegen ist der Inhalt, meist ethische oder moralische Grundsätze. Ich kenne viele anständige Menschen, die nicht besonders höflich sind, ich kenne aber auch viele höfliche Menschen, die jeglichen Anstands entbehren. Zum Beispiel kann man durchaus höflich das sexuelle Trauma einer Frau in ein voyeuristisches Politporno-Paperback verwursten und Geld damit machen, auch gegen deren Willen. Was aber ganz bestimmt nicht anständig ist. Aber zurück zur Meta-Ebene und der Einordnung.
Man muss auch Heuchelei und Integrität vestehen. Wenn ich in meinem privaten Umfeld auch mal ein „Scheisse“ oder ein „Vollidiot“ benutze, aber moralisch empört bin, wenn jemand auf Social Media in dieser alltäglichen Umgangssprache flucht, bin ich vielleicht ein Heuchler. Versteht mich nicht falsch: Niemand muss oder soll fluchen, wenn das seiner Persönlichkeit nicht entspricht. Und ich verstehe auch, wenn jemand sich in schriftlicher Sprache gewählter ausdrückt als im Alltagsgespräch zwischen Freunden.
Für mich ist das nichts. Als Ex-Süchtiger habe ich einfach genug Erfahrung darin, nach aussen eine andere Person zu sein, als ich in meinem Innern bin. Ich bin nicht besonders höflich, aber Hass empfinde ich eigentlich nie. Verachtung, Mitleid, sogar Empörung, aber keinen Hass.
Und man hat mir schon viel vorgeworfen, aber niemals fehlende Integrität, Lügen oder Intransparenz. Wenn mir Unhöflichkeit vorgeworfen wird, kann ich damit leben.